Gedicht zum Thema: Mond
Mondmüde
Der Mond, die große grelle Diebslaterne,
Der silberne Totenschädel der Nacht: Der Mond,
Ein abgewetzter Knopf am schwarzen Schlafrock
Des lieben Gottes, dessen Kredit so sank,
Dass er sich keinen neuen leisten kann:
Der Mond, das lächerlichste aller Requisiten
Im lyrischen Kasperletheater, scheint
So niederträchtig hell heut, naseweis,
Aufdringlich und fürwitzig, dass ich ihm
Noch einen Schelmennamen geben muss:
Ohrfeigengesicht des Himmels. –
Dies getan,
Schließ ich die Läden meines Fensters fest,
So fest zu, dass auch nicht der kleinste Spritzer
Von seinem Katzensilber mich erreicht.
Und samtenes Schwarz, die heilige Unfarbe
Der tiefsten Ruhe, senkt sich über mich
Gleich mohnduftdumpfem Staub von Schmetterlingen
Der ewigen Nirwana. – Welt, schlaf wohl!
Bald schnarch ich wie ein alter Dudelsack
Und träum von meinen Feinden, wie sie schwitzend
Am Backherd stehn und Gallpasteten machen:
Fünf Zehntel Neid, drei Zehntel Unverstand,
Zwei Zehntel Bosheit – aber alles hübsch
Mit Cochenille rot gefärbt: Charmant!
– Mischt, färbt, backt, schwitzt nur, Liebliche – ich schenk euch
Zum Lohn den Mond. Und ich bestimme: tragt
Am Hals mir ihn gleich einer Hundemarke!
(1865 - 1910), auch Martin Möbius, deutscher Lyriker, Romanautor und Herausgeber der Zeitschrift »Pan«
Quelle: Bierbaum, O. J., Gedichte. Gesammelte Werke in zehn Bänden, hg. von Michael Georg Conrad und Hans Brandenburg, München (Georg Müller) 1921 (posthum)