7 Zitate und 26 Gedichte von Ulrich Schaffer.
Das Große
Bewusst zu werden heißt nicht immer nur,
dich selbst besser zu verstehen,
deine Motive zu prüfen,
zu wachsen und zu reifen.
Es kann auch das Stillstehen sein,
dieses Ruhen im Herzen der Welt,
und von dort aus das Leben wahrzunehmen
ohne zu urteilen und zu vergleichen,
ohne Feststellungen und Einschätzungen zu suchen,
und dann am Ende über das Denken hinauszugleiten,
wie ein Schiff, das aufs Meer treibt. Da gelten nicht mehr die Regeln des Festlandes,
nicht mehr die Sicherheit des Bekannten,
nicht mehr die Spuren im Sand,
sondern nur noch die Weite, die Gischt der Wellen,
das Licht am Horizont. Da tritt das Große,
das keiner Erkenntnis gleicht,
ins Bewusstsein.
Da leuchten nachts die Sterne
im stillen Wasser.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Der Schlüssel
Wir stehen vor verschlossenen Türen,
wir klopfen, wir pochen.
Wir ahnen die Bewegung
hinter dem festen Holz.
Wir beten,
der Schlüssel möge
vom Himmel fallen,
aber es fällt nur die Nacht.
Erst wenn wir unser Herz
in das Schloss passen,
öffnet sich die Tür.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
"Geh Du vor", sagte die Seele zum Körper, "auf mich hört er nicht. Vielleicht hört er auf Dich."
"Ich werde krank werden, dann wird er Zeit für Dich haben",
sagte der Körper zur Seele.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Ich erlaube mir, meine Meinung zu ändern
Beim Älterwerden
entdecke ich eine neue Narrenfreiheit.
Ich spüre die Freiheit, die davon ausgeht,
nicht mehr mitten im Gewühle zu sein.
Weniger hängt an mir,
ich kann am Rand experimentieren.
Ich spiele mit Gedanken,
ich erlaube mir andere Sichten.
Ich schulde niemandem die Loyalität
zu diesem oder jenem Gedanken.
Ich erlaube mir,
meine Meinung zu ändern,
neu und anders zu glauben,
nicht mehr zu glauben,
was ich nicht glauben kann.
Ich lebe nicht, um die Erwartungen anderer zu erfüllen.
Ich schreibe an dem Roman meines Lebens
und bestimme, wie die Hauptfigur handeln wird.
Sie darf spinnen, sich verlaufen, nicht weiter wissen
und sie bleibt doch in allem wertvoll.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Was mich einmal faszinierte
Was mich einmal faszinierte,
Ist jetzt wie abgelegtes Spielzeug.
Was mich anfeuerte,
ist jetzt nur ein zahmer Ruf von der Seitenlinie.
Was mich begeisterte, hat sich entleert
und langweilt mich.
Was ich kaum erwarten konnte,
liegt jetzt vergessen hinter mir.
Was unüberbrückbar schien, ist eine geebnete Staße,
auf der ich Fußspuren hinterlasse.
Ich habe alles geliebt, was ich überwunden habe.
Nur was ich geliebt habe, konnte ich überwinden.
Es war sogar die Liebe und das Feuer in den Situationen,
die mir halfen, sie zu überwinden.
Nur weil ich etwas wusste,
weiß ich jetzt um so mehr nicht.
Nichts ist so meine Chance wie meine Unwissenheit.
Sie öffnet mir Türen, die ich nicht kannte.
Nicht der Einäugige,
sondern der Blinde
ist König im Reiche der Fantasie,
weil er sieht, was sein könnte.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Ich lebe nicht, um die Erwartungen anderer zu erfüllen.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Quelle: Schaffer, U., Gedichte. Aus: Ich erlaube mir, meine Meinung zu ändern, 2014
Es geht nicht so sehr um das Gegen-andere-Sein, sondern für sich selbst zu sein. Das kann auch heißen, zu realisieren, dass man an ein Ende mit gewissen Menschen gelangt ist.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Nicht noch mehr Menschen
Ich brauche nicht noch mehr Menschen, um erfüllt zu sein.
Es reicht, mein Leben mit denen zu vertiefen,
die ihr Leben mit meinem teilen wollen.
Wir können weiter über das nachdenken, was uns angeht,
wir können neue Dimensionen erforschen
und unserer Zeit miteinander eine andere Qualität geben.
Ich möchte über das reden,
was jetzt in der zweiten Lebenshälfte,
oder im letzten Drittel oder Viertel, noch wichtig ist.
Auch können wir noch offener und achtsamer sein
für die wortlose Kommunikation,
für die Schwingungen, in denen unsere Seelen leben.
Vielleicht wird es auch dazugehören,
die Menschen loszulassen,
die auf verschiedene Weise ausgedrückt haben,
dass sie diese Vertiefung mit uns nicht wünschen,
weil sie ihnen nicht wichtig oder zu anstrengend ist.
Es wird schmerzen, aber es wird gut tun, frei zu sein
für den eigenen Weg.
Ich will bei denen sein,
die mich bei sich wünschen.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Nichts ist so meine Chance wie meine Unwissenheit.
Sie öffnet mir Türen, die ich nicht kannte.
© Ulrich Schaffer (*1942), Fotograf und Schriftsteller
Aus seinem Gedicht: Was mich einmal faszinierte, 2014