14546 Gedichte.
Eine alte Weide trauert
Eine alte Weide trauert
dürr und fühllos in den Mai,
eine alte Hütte kauert
grau und einsam hart dabei.
War ein Nest einst in der Weide,
in der Hütt' ein Glück zuhaus,
Winter kam und Weh,
und beide blieben aus.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, österreichischer Erzähler und Lyriker; gilt als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne
Im Tierkostüm
Palmström liebt es, Tiere nachzuahmen,
und erzieht zwei junge Schneider
lediglich auf Tierkostüme.
So z.B. hockt er gern als Rabe
auf dem oberen Aste einer Eiche
und beobachtet den Himmel.
Häufig auch als Bernhardiner
legt er zottigen Kopf auf tapfere Pfoten,
bellt im Schlaf und träumt gerettete Wanderer.
Oder spinnt ein Netz in seinem Garten
aus Spagat und sitzt als eine Spinne
tagelang in dessen Mitte.
Oder schwimmt, ein glotzgeäugter Karpfen,
rund um die Fontäne seines Teiches
und erlaubt den Kindern ihn zu füttern.
Oder hängt sich im Kostüm des Storches
unter eines Luftschiffs Gondel
und verreist so nach Ägypten.
Christian Morgenstern (1871 - 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer
Quelle: Morgenstern, C., Gedichte. Palmström
Zeit ist
wie
eine Pusteblume
dies und das und jenes
blasen dagegen
fort ist er
der Tag
© Engelbert Schinkel (*1959), einfühlsamer Seelenfärber
aus dem Meer gestiegen
golden ist dein Leib
du verwirrst mir die Sinne
überall möchte ich dich bedecken
und weiss wohl
um die Zaghaftigkeit meiner Hand
nicht willig gibst du dich hin
spröde ist deine Kargheit
und rissig
deine Gegenwehr
aber ich atme
und im Verwehen habe ich dich
schon genommen
© Anke Maggauer-Kirsche (*1948), deutsche Lyrikerin, Aphoristikerin und ehemalige Betagtenbetreuerin in der Schweiz
Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit
Einen Moment der Unachtsamkeit
um in deinen Augen zu versinken,
mein Leben dafür, um zu ertrinken
im Gefühl der trauten Zweisamkeit.
Eingetaucht in einem Meer aus Glas,
umspült vom Anmut der Tränen,
den Traum zu erfahr'n in Ebenen,
ein Paradies gehüllt in Edelgas.
Einen Augenblick der Unendlichkeit,
verloren in einer wundervollen Welt
geboren wurde ich zu deinem Held,
für einen Moment der Unachtsamkeit.
© Gerd Groß (*1956), Dichter und Lyriker
Verbotene Liebe
Unsere Freundschaft sie war verboten,
konnten die Tiefe noch nicht ausloten.
Der Ort des Geschehens war nicht geheim,
unsere Liebe wurde geboren im Keim.
Wir sahen uns an und lernten Vertrauen,
geheim mußte sie sein, darauf konnten wir bauen.
Eine Freundschaft so wunderbar klar,
sie gab uns den Halt, ganz unverwechselbar.
Wir liebten uns am Tage geheim,
die Nacht war unser bei mir daheim.
Du warst jung, unschuldig und rein,
es war wunderschön mit dir zu sein.
Meine Stellung verbot es, dich als Freund zu seh‘n
als Schüler und Lehrer hatten wir den Weg zu geh’n
Es kam der Tag, an dem die Entscheidung naht
Den Job verlor ich – die Liebe, sie wurde bejaht.
© Gerd Groß (*1956), Dichter und Lyriker
Städte... .
Städte,
haben Augen
und sind wie
Katzen
in der Nacht.
Menschen,
sind wie Mäuse,
bis daß
der Tag erwacht.
© Manfred Schröder (*1938), deutsch-finnischer Dichter, Aphoristiker und Satiriker
Ich bin... .
Ich bin.
Ich habe
die Welt verändert.
Der Wind faucht
mir ins Gesicht.
Ich fauche zurück.
Ich habe
die Welt verändert.
Weltenbrand
stürzt auf mich ein.
Doch ich bleibe standhaft,
wie der tapfere Zinnsoldat.
In lodernen Flammen
werde ich zur Asche.
Ich habe
die Welt verändert.
Ich war.
Ich habe
die Welt verändert.
© Manfred Schröder (*1938), deutsch-finnischer Dichter, Aphoristiker und Satiriker