158 Zitate und 220 Gedichte über Abend, Nacht.
Was in der Nacht geredet wurde, wischt der Tag aus.
Quelle: Socin (Hg.), Arabische Sprichwörter und Redensarten, 1878
Du Dunkelheit, aus der ich stamme
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.
Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich,
wie sie's errafft,
Menschen und Mächte –
Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.
Ich glaube an Nächte.
Rainer Maria Rilke (1875 - 1926), eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, österreichischer Erzähler und Lyriker; gilt als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne
Quelle: Rilke, Die Gedichte. Nach der von Ernst Zinn besorgten Edition der sämtlichen Werke, Insel Verlag 1957. Das Stundenbuch. Das Buch vom mönchischen Leben, 1899
Zwielicht
Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken ziehn wie schwere Träume -
Was will dieses Graun bedeuten?
Hast ein Reh du lieb vor andern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger ziehn im Wald und blasen,
Stimmen hin und wieder wandern.
Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug und Munde,
Sinnt er Krieg im tück'schen Frieden.
Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren.
Manches bleibt in Nacht verloren -
Hüte dich, bleib wach und munter!
Joseph von Eichendorff (1788 - 1857), Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff, deutscher Dichter, Novellist und Dramatiker
Quelle: Eichendorff, J., Gedichte. Ausgabe 1841. 1. Wanderlieder. Hier: Erstdruck 1815
Sonnentag
Am Ende eines jeden Tages,
wenn die Nacht sich wie ein Schleier
über unsere Träume legt
und in der Tiefe des Atems
die Gedanken und Wünsche
gleichsam einem Tunnel,
der das Licht verschlingt,
gibt es auch dann einen neuen Morgen
und ein Licht am Ende des Einsamkeit,
wenn die ersten Strahlen
den Glanz des Tages erscheinen lassen
und Dir ein Lächeln
auf die Lippen zaubern
an einem neuen Sonnentag.
© Ladore de Schygall (*1971), deutscher Lyriker, Publizist und Autor
Die Dunkelheit findet einen Freund
Nur meine Nacht scheint so hell
Wie könnte es auch anders sein
Zwei nebelige Gestalten
Treffen sich im fahlen Licht des Mondes
Gehen aneinander vorbei
Vergessen sich auf der Stelle
Wie nie gesehen begegnen sie sich erneut
Sehen sich erneut in die Augen
Der Nebel wabert auf
War da nicht ein Gefühl?
Nur eine kleine Erinnerung?
Nein, nur Einbildung
Sie gehen wieder aneinander vorbei
Das Licht des Mondes verblaßt
Verbirgt die Leiber der zwei
Die Dunkelheit findet einen Freund
© Alex Merbach (*1987)
Der Mondschein im Fluß
offenbart den Silberschatz
alter Sagenwelt
© Erhard Horst Bellermann (*1937), deutscher Bauingenieur, Dichter und Aphoristiker
Quelle: Bellermann, Gedankenreich, Engelsdorfer Verlag 2004
Gebet
Liebe Nacht! Auf Berg und Wiese
ruhst du, stille Trösterin.
An dem Saume deines Mantels
leg' ich all mein Wünschen hin.
Liebe Nacht! An deinen Brüsten,
Mutter aller Frömmigkeit,
ruhe meine Unrast, schlafe
all mein Sehnen und mein Leid.
Liebe Nacht! O wiege, wiege
dieses Herzens Drängen ein!
Laß mich still wie du, gelassen
und umfassend laß mich sein!
Otto Julius Bierbaum (1865 - 1910), auch Martin Möbius, deutscher Lyriker, Romanautor und Herausgeber der Zeitschrift »Pan«
Da ziehen Orion und Gluckhenne am Himmel ihre Bahn, Jupiter eilt den Tierkreis entlang der leuchtenden Venus nach, ich kann mich niemals sattsehen, denken und spüren an den großen Lichtern, an ihren festen Gleisen und ihrer großen Ordnung, und an dem ganzen Geschehen am Firmament, das die Zeit und die Ewigkeit versöhnen möchte. So sehe ich ins tiefste Herz der Natur hinein.
© Heinrich Schmid-Kugelbach (1885 - 1967), veröffentlichte auch unter dem Pseudonym Meister Guntram von Augsburg, deutscher Pfarrer
Nachts
Ich wandre durch die stille Nacht,
Da schleicht der Mond so heimlich sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
Und hin und her im Tal
Erwacht die Nachtigall,
Dann wieder alles grau und stille.
O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Ströme Gang,
Leis schauern in den dunklen Bäumen -
Wirrst die Gedanken mir,
Mein irres Singen hier
Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.
Joseph von Eichendorff (1788 - 1857), Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff, deutscher Dichter, Novellist und Dramatiker