1 Zitat und 3 Gedichte über Allerheiligen, Allerseelen.
Allerseelen
Welch traumhaft stilles Schreiten
Den fahlen Hain entlang!
Rings müder Blätter Gleiten,
Und über Stoppelbreiten
Verlorner Glockenklang.
Was je dein Herz besessen
An Hoffnung, Glück und Leid,
Was unter Gruftzypressen
Geschlummert, halbvergessen,
Gibt klagend dir Geleit.
Gestalten, längst entschwunden,
Brechen des Grabes Bann:
Neu bluten alte Wunden,
Und tote Wonnestunden
Lächeln dich schmerzlich an.
Herz, heiß die Sehnsucht schweigen,
Die um Vergangnes wirbt! –
Die ew’gen Sterne steigen,
Die Heimat dir zu zeigen,
Wo jede Klage stirbt!
Franz Reinhold Fuchs
(1858 - 1938), deutscher Pädagoge und Dichter
Quelle: Polko (Hg.), Dichtergrüße. Neuere deutsche Lyrik ausgewählt von Elise Polko, 1860 (11. Auflage 1876)
Ich stand gelehnt am Leichenstein
Ich stand gelehnt am Leichenstein
Am Allerseelentag
Von hundert Kerzen lichter Schein
Auf all den stummen Gräbern lag.
Ich dachte, wie viel Glück und Schmerz
Hier tief begraben liegt,
Wie manches sturmbewegte Herz
Auf ewig ward zur Ruh gewiegt.
Da gingst du still vorbei an mir,
Ich sah dir ins Gesicht,
Und eine Thräne blitzte dir
Im Aug', bestrahlt vom Kerzenlicht.
Im tiefsten Herzen hat sich da
Ein Grab mir aufgethan,
Und die gestorb'ne Jugend sah
Aus deinem Aug' mich lebend an!
Ludwig Bauer (1832 - 1910), deutscher Pädagoge und Schriftsteller
Quelle: Bauer, Fliegender Sommer. Neue Gedichte, 1874
Es ist ein Irrtum, zu meinen, dass die Toten fortgehen.
Keiner geht weniger fort als die Toten. Viel eher die Lebendigen.
Ernst Wiechert (1887 - 1950), deutscher Schriftsteller schwermütiger Romane über Natur, Religion und Nationalsozialismus. Wurde von den Nazis ins KZ Buchenwald verschleppt; emigrierte 1948 in die Schweiz. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Buchverlage Langen Müller Herbig nymphenburger terra magica
Quelle: Wiechert, Die Jeromin-Kinder II, 1945
Gedanken an Allerheiligen
„Es gibt für alles eine Zeit…“ –
die weisen Wort Salomos
begleiten uns ein Leben lang
mit einer stillen Traurigkeit.
Bereit zu sein zu stetem Abschied –
vom frohen Übermut der Jugend,
vom Duft der Veilchen und Narzissen,
von einem kleinen Frühlingslied,
vom erntereifen Weizenfeld,
der Blütenpracht auf Sommerwiesen,
den Tagen voller Sonnenglut,
den Kindern, die zieh’n in die Welt,
auch von des Herbstes buntem Kleid,
dem Wind der kahlen Stoppelfelder,
von manchem Freund, der vor uns ging,
den wir gekannt seit langer Zeit.
Zum Ende neigt sich nun das Jahr.
Die Nebel ziehen übers Land.
Ganz lautlos tanzen erste Flocken,
und Raureif färbt jetzt weiß das Haar.
Bald lässt der Schnee das Leben darben.
Es heißt, endgültig Abschied nehmen
von Frühlingsduft und Sommerglück,
auch von des Herbstes goldnen Farben.
Denn nichts im Leben ist von Dauer,
nicht herzensguter Eltern Sorge,
nicht Liebesglück noch Kinderlachen –
im Glück weint leise schon die Trauer.
© Christa Kluge (*1941), Lehrerin in Ruhestand