2 Zitate und 35 Gedichte über Ballade, Moritat.
Begegnung
Wohl unter der Linde erklingt die Musik,
Da tanzen die Burschen und Mädel,
Da tanzen zwei, die niemand kennt,
Sie schaun so schlank und edel.
Sie schweben auf, sie schweben ab,
In seltsam fremder Weise;
Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
Das Fräulein flüstert leise:
»Mein schöner Junker, auf Eurem Hut
Schwankt eine Neckenlilie,
Die wächst nur tief in Meeresgrund –
Ihr stammt nicht aus Adams Familie.
Ihr seid der Wassermann, Ihr wollt
Verlocken des Dorfes Schönen.
Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,
An Euren fischgrätigen Zähnen.«
Sie schweben auf, sie schweben ab,
In seltsam fremder Weise,
Sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
Der Junker flüstert leise:
»Mein schönes Fräulein, sagt mir, warum
So eiskalt Eure Hand ist?
Sagt mir, warum so naß der Saum
An Eurem weißen Gewand ist?
Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,
An Eurem spöttischen Knickse –
Du bist kein irdisches Menschenkind,
Du bist mein Mühmchen, die Nixe.«
Die Geigen verstummen, der Tanz ist aus,
Es trennen sich höflich die beiden.
Sie kennen sich leider viel zu gut,
Suchen sich jetzt zu vermeiden.
Heinrich Heine (1797 - 1856), Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons
Quelle: Heine, H., Gedichte. Neue Gedichte. Romanzen, 22.
Schreckliche Folgen eines Bleistifts
I
O Madrid, ich muß dich hassen,
Denn du hast ihn schnöd verkannt,
Den Murillo seinen besten
Schüler stets mit Stolz genannt.
Keiner hatte wie Pedrillo
Dieses lange Lockenspiel,
Keiner trug Hispaniens Mantel
Mit so vielem Kunstgefühl;
Keiner wiegte auf dem Haupt
Solchen hohen, spitzen Hut,
Und das edle Bleistifspitzen
Konnt’ er aus dem Grunde gut.
Meistens nahm er Nr. 7,
Und mit kunstgeübter Hand
Spitzt’ er ihn an beiden Enden,
Weil er dieses praktisch fand.
Einstmals merkte dies Murillo,
Und er sprach in erstem Ton:
»Was ich eben da bemerke,
Das gefällt mir nicht, mein Sohn;
Denn ich glaube, daß du hierin
Sehr auf falschem Wege bist,
Weil es erstens sehr gefährlich,
Zweitens auch nicht nötig ist.«
Doch Pedrillo (wie gewöhnlich
Diese jungen Leute sind)
Schlug Murillos weise Lehre
Lirum larum! in den Wind.
II
Übrigens (das muß man sagen)
Was die edle Kunst betraf,
Überhaupt in seinem Fache,
War Pedrillo wirklich brav.
So z.B. die Madonna;
Ja, wer hätte das gedacht?
Selbst der große Don Murillo
Hätte Beßres nicht gemacht.
Aber so was kostet Mühe,
Und es kostet auch noch Geld,
Denn Pedrillo hatte häufig
Sich dazu Modell bestellt.
Sie war eine Schneiderstochter
Aus der Vorstadt von Madrid,
Schwarze Augen, blonde Flechten
Brachte dieses Mädchen mit.
Als Pedrillo nun gemalet
Dieses Mädchen als Porträt,
War der große Don Murillo
Auch nicht ungern in der Näh’.
Früh vom Morgen bis zum Abend
Unterweist der Meister ihn,
Und Pedrillo folgte willig
Stets mit eifrigem Bemühn.
Aber abends, wo ein jeder
Gerne seine Ruhe hat,
Führt’ Pedrillo jenes Mädchen
Oft spazieren vor die Stadt.
Einstmals merkte dies Murillo,
Und er sprach mit ernstem Ton:
»Was ich eben da bemerke,
Das gefällt mir nicht, mein Sohn;
Denn ich glaube, daß du hierin
Sehr auf falschem Wege bist,
Weil es erstens sehr gefährlich,
Zweitens auch nicht nötig ist.«
Doch Pedrillo (wie gewöhnlich
Diese jungen Leute sind)
Schlug Murillos weise Lehre
Lirum, larum! in den Wind.
III
Schon am nächsten Donnerstage,
Als ein schöner Abend war,
Sah man draußen vor dem Tore
Dieses pflichtvergeßne Paar.
Zu dem dort’gen Myrthenhaine
Gingen sie im Mondeslicht,
Aber keiner sah sie wieder,
Wenigstens lebendig nicht.
Denn es sprach zu ihr Pedrillo:
»Sprich, Geliebte, liebst du mich?«
Und sie preßt ihn an den Busen,
Sprechend: »Ja, ich liebe dich!«
»Au!« schrie plötzlich da Pedrillo,
Und das Mädchen schrie es auch;
Tödlich fielen beide nieder
Unter einen Myrthenstrauch.
Keiner wußte, was geschehen,
Bis des Morgens in der Früh,
Denn da kam ein alter Klausner
Durch den Wald und merkte sie.
Und als er die beiden Leichen
In der Nähe sich besah,
Fand er alles ganz natürlich,
Denn, ach Gott! was fand er da?
Ach, ein Bleistift Nr. 7,
Den Pedrillo zugespitzt,
Zugespritzt an beiden Enden,
Hatte dieses Blut verspritzt.
Als Murillo dies vernommen,
Sprach er sanft und weinte sehr:
»Ach! O Jüngling, spitze niemals
Einen harten Bleistift mehr;
Führe Mädchen nie spazieren,
Denn dies Beispiel zeigt es klar,
Daß es erstens sehr gefährlich,
Zweitens auch nicht nötig war.«
Wilhelm Busch (1832 - 1908), deutscher Zeichner, Maler und Schriftsteller
Quelle: Busch, in: Fliegende Blätter und Münchner Bilderbogen, 1859-71
Eine Romanze ist kein Prozeß, wo ein Definitivurteil sein muß.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten deutschsprachiger Dichtung
Quelle: Goethe, Maximen und Reflexionen. Aphorismen und Aufzeichnungen. Nach den Handschriften des Goethe- und Schiller-Archivs hg. von Max Hecker, 1907. Aus dem Nachlass. Über Literatur und Leben
Kyffhäuser.
Verwittert, zerbröckelt, zerfallen
Ragt droben das alte Gestein,
Die moosigen Trümmer umzittert
Des Mondes gespenstiger Schein.
Und ruhlos umflattern Gestalten
Den Turm in der stillen Nacht,
Laut krächzende Raben, sie halten
Beim Throne des Kaisers die Wacht.
Tief drunten mit treuen Vasallen,
Da sitzet der Herrscher so bleich,
Und wehklagend zieht durch die Hallen
Der Schatten vom deutschen Reich.
»Erheb dich, du tapferer Ritter,
Ergreif dein gewaltiges Schwert,
Damit es im Schlachtengewitter
Wie einst alle Feinde verheert!
Noch ist ja dein Ruhm nicht verklungen,
Noch rollet ja feurig dein Blut
Hat selbst doch den Marmor bezwungen
Des Bartes gewaltige Flut!«
»Es konnte mein Bart wohl bezwingen
Im Laufe der Jahre den Stein,
Wie soll ich mein Schwert aber schwingen,
Ich deutscher Mann ganz allein?
O schließe die Augen auf immer,
Du Wand'rer in altdeutschen Gaun,
Die Trümmerwelt wirst du wohl nimmer
Als einiges Ganze erschaun!
Kein Strahl wird die Nacht dir erhellen,
Obgleich dies die Sage verheißt.
Dein Hoffen muß ewig zerschellen
An Deutschlands uneinigem Geist!«
E. Marlitt (1825 - 1887), Pseudonym für Friederieke Henriette Christiane Eugenie John, deutsche Schriftstellerin
Querkopf
Ein eigner Kerl war Krischan Bolte.
Er tat nicht gerne, was er sollte.
Als Kind schon ist er so gewesen.
Religion, Rechtschreiben und Lesen
Fielen für ihn nicht ins Gewicht:
Er sollte zur Schule und wollte nicht.
Später kam er zu Meister Pfriem.
Der zeigte ihm redlich und sagte ihm,
Jedoch umsonst, was seine Pflicht:
Er sollte schustern und wollte nicht.
Er wollte sich nun mal nicht quälen,
Deshalb verfiel er auf das Stehlen.
Man faßt' ihn, stellt' ihn vor Gericht:
Er sollte bekennen und wollte nicht.
Trotzdem verdammt man ihn zum Tode
Er aber blieb, nach seiner Mode,
Ein widerspenstiger Bösewicht:
Er sollte hängen und wollte nicht.
Wilhelm Busch (1832 - 1908), deutscher Zeichner, Maler und Schriftsteller
Quelle: Busch, W., Gedichte. Zu guter Letzt, 1904
Der Ichthyosaurus
Es rauscht in den Schachtelhalmen,
Verdächtig leuchtet das Meer,
Da schwimmt mit Thränen im Auge
Ein Ichthyosaurus daher.
Ihn jammert der Zeiten Verderbniß,
Denn ein sehr bedenklicher Ton
War neuerlich eingerissen
In der Liasformation.
»Der Plesiosaurus, der Alte,
Er jubelt in Saus und Braus,
Der Pterodactylus selber
Flog neulich betrunken nach Haus.
»Der Iguanodon der Lümmel
Wird frecher zu jeglicher Frist,
Schon hat er am hellen Tage
Die Ichthyosaura geküßt.
»Mir ahnt eine Weltkatastrophe,
So kann es ja länger nicht geh'n;
Was soll aus dem Lias noch werden,
Wenn solche Dinge gescheh'n?«
So klagte der Ichthyosaurus,
Da ward es ihm kreidig zu Muth,
Sein letzter Seufzer verhallte
Im Qualmen und Zischen der Flut.
Es starb zu derselbigen Stunde
Die ganze Saurierei,
Sie kamen zu tief in die Kreide,
Da war es natürlich vorbei.
Und der uns hat gesungen
Dies petrefaktische Lied,
Der fand's als fossiles Albumblatt
Auf einem Koprolith.
Joseph Victor von Scheffel (1826 - 1886), Joseph Victor Scheffel, ab 1876 von Scheffel, deutscher Schriftsteller und Dichter
Quelle: Scheffel, Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren, 1863
Ballade vom Schatten
(unvollendet)
Engte mich mein kleiner Schatten ein,
Kleiner Schatten, der mich streng umschrieb,
Mir drei Schritt voraus, zur Seite ging
Oder drei in meinem Rücken blieb.
Sprach ich: Schatten, böser Spiegel Schatten,
Soll ich ewig treuer Diener sein,
Immerfort von deinem Maß beschlossen,
Ewig Abbild und für ewig dein?
Schatten sprach darauf: Gib mir ein Licht,
Größres Licht gib mir, mich drin zu strecken,
Und ich geh von dir, groß und namenlos
Weithin fremde Erde zu bedecken.
Frau, da ging deines Blickes Mond,
Deiner Augen Sonne schräg überm Himmel auf.
Maria Luise Weissmann (1899 - 1929), deutsche Lyrikerin
Quelle: Weissmann, M. L., Gedichte
Romanzen, die glücklich enden, mag ich nicht. Sie deprimieren mich zu sehr.
Oscar Wilde (1854 - 1900), eigentlich Oscar Fingal O'Flahertie Wills, irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor
Der Rattenfänger
Ich bin der wohlbekannte Sänger,
Der vielgereiste Rattenfänger,
Den diese altberühmte Stadt
Gewiß besonders nötig hat.
Und wären's Ratten noch so viele,
Und wären Wiesel mit im Spiele;
Von allen säubr' ich diesen Ort
Sie müssen miteinander fort.
Dann ist der gutgelaunte Sänger
Mitunter auch ein Kinderfänger,
Der selbst die wildesten bezwingt,
Wenn er die goldnen Märchen singt.
Und wären Knaben noch so trutzig,
Und wären Mädchen noch so stutzig,
In meine Saiten greif ich ein,
Sie müssen alle hinterdrein.
Dann ist der vielgewandte Sänger
Gelegentlich ein Mädchenfänger;
In keinem Städtchen langt er an,
Wo er's nicht mancher angetan.
Und wären Mädchen noch so blöde,
Und wären Weiber noch so spröde:
Doch allen wird so liebebang
Bei Zaubersaiten und Gesang
Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832), gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten deutschsprachiger Dichtung
Quelle: Goethe, J. W., Gedichte. Ausgabe letzter Hand, 1827. Balladen