2 Zitate und 35 Gedichte über Ballade, Moritat.
Gomorrha
Das Feuer schleicht in den Gassen
Mit leisem Raubtiertritt,
Die schönen Töchter, die blassen,
Vernehmen nicht seinen Schritt.
Sie ruh'n auf weichen Fellen,
Müd' von Gelagen und Tanz,
Vom Trank aus verbot'nen Quellen,
Von wilder Opfer Glanz.
Sie träumen von dunklen Freuden,
Von heimlicher Harfen Klang,
Von königlichem Vergeuden,
Und lachendem Ueberschwang.
Sie träumen von – Cherubsflügeln, –
Da stoßen die Wächter ins Horn,
Rot über Straßen und Hügeln
Lodert Jehovas Zorn. – –
Maria Janitschek (1859 - 1927), deutsch-österreichische Schriftstellerin und Lyrikerin; stand der Frauenbewegung nahe
Krötensage
Des Berges alte Wangen sind
Von Maiensonne beschienen;
Sie lächeln unter Quellenglanz,
Die Schilfe, die Farren ergrünen.
Die Kröte springt aus dem Kieselstein,
Ein Hirt hat ihn zerschlagen;
Sie schaut verdrossen die Scherben an,
Und sie beginnt zu sagen:
»Viel tausend Jahre bin ich alt
Samt diesem Futterale!
Es schob vom hohen Felsgebirg
Allmählich mit mir zu Tale.
Doch manchmal in der Wasser Sturz
Sind wir gewaltig gesprungen;
Dann hat's um meine dunkle Klausur
Gesungen und geklungen.
Und wie mir ist – ich weiß es nicht,
Noch was ich getrieben indessen;
Ich hab im mindesten nichts gelernt
Und hatte nicht viel zu vergessen.
Ein warmer Regen, ein grünes Kraut
Nur konnten mir behagen;
Sie liegen mir fort und fort im Sinn
Aus fernen Jugendtagen.
So hab ich ein langweilig Stück
Unsterblichkeit erworben;
Hätt ich getrunken lebendige Luft,
Längst wär ich vernünftig gestorben.«
Gottfried Keller (1819 - 1890), Schweizer Dichter und Romanautor
Quelle: Keller, G., Gedichte
Ein Maulwurf
Die laute Welt und ihr Ergötzen
Als eine störende Erscheinung
Vermag der Weise nicht zu schätzen.
Ein Maulwurf war der gleichen Meinung.
Er fand an Lärm kein Wohlgefallen,
Zog sich zurück in kühle Hallen
Und ging daselbst in seinem Fach
Stillfleißig den Geschäften nach.
Zwar sehen konnt' er da kein bissel,
Indessen sein getreuer Rüssel,
Ein Nervensitz voll Zartgefühl,
Führt sicher zum erwünschten Ziel.
Als Nahrung hat er sich erlesen
Die Leckerbissen der Chinesen,
Den Regenwurm und Engerling,
Wovon er vielfach fette fing.
Die Folge war, was ja kein Wunder,
Sein Bäuchlein wurde täglich runder,
Und wie das häufig so der Brauch,
Der Stolz wuchs mit dem Bauche auch.
Wohl ist er stattlich von Person
Und kleidet sich wie ein Baron,
Nur schad, ihn und sein Sammetkleid
Sah niemand in der Dunkelheit.
So trieb ihn denn der Höhensinn
Von unten her nach oben hin,
Zehn Zoll hoch oder gar noch mehr,
Zu seines Namens Ruhm und Ehr
Gewölbte Tempel zu entwerfen
Und denen draußen einzuschärfen,
Daß innerhalb noch einer wohne,
Der etwas kann, was nicht so ohne.
Mit Baulichkeiten ist es mißlich.
Ob man sie schätzt, ist ungewißlich.
Ein Mensch von anderm Kunstgeschmacke,
Ein Gärtner, kam mit einer Hacke.
Durch kurzen Hieb nach langer Lauer
Zieht er ans Licht den Tempelbauer
Und haut so derb ihn übers Ohr,
Daß er den Lebensgeist verlor.
Da liegt er nun, der stolze Mann.
Wer tut die letzte Ehr ihm an?
Drei Käfer, schwarz und gelb gefleckt,
Die haben ihn mit Sand bedeckt.
Wilhelm Busch (1832 - 1908), deutscher Zeichner, Maler und Schriftsteller
Quelle: Busch, W., Gedichte. Zu guter Letzt, 1904
Die Geister am Mummelsee
Vom Berge was kommt dort um Mitternacht spät
Mit Fackeln so prächtig herunter?
Ob das wohl zum Tanze, zum Feste noch geht?
Mir klingen die Lieder so munter.
O nein!
So sage, was mag es wohl sein?
Das, was du da siehest, ist Totengeleit,
Und was du da hörest, sind Klagen.
Dem König, dem Zauberer, gilt es zu Leid,
Sie bringen ihn wieder getragen.
O weh!
So sind es die Geister vom See!
Sie schweben herunter ins Mummelseetal –
Sie haben den See schon betreten –
Sie rühren und netzen den Fuß nicht einmal –
Sie schwirren in leisen Gebeten –
O schau,
Am Sarge die glänzende Frau!
Jetzt öffnet der See das grünspiegelnde Tor;
Gib acht, nun tauchen sie nieder!
Es schwankt eine lebende Treppe hervor,
Und – drunten schon summen die Lieder.
Hörst du?
Sie singen ihn unten zur Ruh.
Die Wasser, wie lieblich sie brennen und glühn!
Sie spielen in grünendem Feuer;
Es geisten die Nebel am Ufer dahin,
Zum Meere verzieht sich der Weiher –
Nur still!
Ob dort sich nichts rühren will?
Es zuckt in der Mitten – o Himmel! ach hilf!
Nun kommen sie wieder, sie kommen!
Es orgelt im Rohr und es klirret im Schilf;
Nur hurtig, die Flucht nur genommen!
Davon!
Sie wittern, sie haschen mich schon!
Eduard Mörike (1804 - 1875), deutscher Erzähler, Lyriker und Dichter
Ballade vom Namenlosen
Er lebte weil er geboren war,
Er fand keinen anderen Grund.
Die Mutter liebte ganz früh sein Haar,
Einmal Eine dann seinen Mund,
Doch war es nicht wichtig und verging
Auch schnell, bevor ers ermessen.
Alles in allem war so gering –
Er hatte als er zu sterben anfing
Sich schon seit Jahren vergessen.
Maria Luise Weissmann (1899 - 1929), deutsche Lyrikerin
Quelle: Weissmann, M. L., Gedichte. Imago, entstanden 1922-29, Erstdruck 1932
Epistel
Lieber Freund ich komme soeben
Von Deiner Behausung – was soll das geben?
Du bist verduftet, verschwunden, verschollen,
Ich stand vor der Thür u. durft Dir nicht grollen –
Hohl klang die Glocke vom Corridor.
Ich kam zu Dir in der höchsten Not
Woll betteln bei Dir um ein Abendbrod;
Ich dachte des Worts, das Du unlängst gesprochen
Und hoffte, ich werde vergebens nicht pochen –
Hohl klang die Glocke vom Corridor.
Wohin Du gegangen, wie lange Du bleibst
In welcher Kneipe Du Abends kneipst –
Ich kunnts nicht erfragen, kunnts nirgends entdecken,
Ich stand vor der Thür, aufhorchend mit Schrecken –
Hohl klang die Glocke vom Corridor.
"Zu Hause" so las ich vom blechernen Kastenh,
Drin sonst Deine Briefe, die wartenden, rasten –
Zu Hause! Zu Hause, da wartete mein,
Was ich brächte, mein Weib mit der Ungeduld Pein –
Hohl klang die Glocke vom Corridor.
Ich läutete wohl an die fünfzig Mal,
Doch es regte sich nichts ... In der Brust nur die Qual
Und im Magen der Wurm – selbst Leo, der Hund,
That mir nicht seinen wärmendenb Ingrimm kund –
Hohl klang nur die Glocke vom Corridor. –
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Nun schlafen sie All', ich wache allein
Und denke, Du wirst wohl im Farchland sein,
Doch derweil ich Dir schreibe in fliegender Hast,
Geht von Stube zu Stub' ein hohlwangiger Gast –
Bang tönt's wie ein Echo vom Corridor.
Ludwig Scharf (1864 - 1938), deutscher Lyriker, sein Gedichtband »Lieder eines Menschen« gilt als eines der wichtigsten lyrischen Werke des Naturalismus
Quelle: Scharf, Gesammelte Lyrik und Prosa. Mit einer Auswahl aus dem Briefwechsel und einer Rezension von Eduard v. Keyserling, hg. von Walter Hettche, Aisthesis Archiv 16, Aisthesis Verlag 2011. Wiedergabe mit freundlicher Erlaubnis des Aisthesis Verlags. Verstreut veröffentlichte und handschriftlich überlieferte Gedichte (1883-1926)
Ballade
Ein schwüler Garten stand die Nacht.
Wir verschwiegen uns, was uns grauend erfaßt.
Davon sind unsre Herzen erwacht
Und erlagen unter des Schweigens Last.
Es blühte kein Stern in jener Nacht
Und niemand war, der für uns bat.
Ein Dämon nur hat im Dunkel gelacht.
Seid alle verflucht! Da ward die Tat.
Georg Trakl (1887 - 1914), österreichischer frühexpressionistischer Dichter und Lyriker
Unbeliebtes Wunder
In Tours, zu Bischof Martins Zeit,
Gab's Krüppel viel und Bettelleut.
Darunter auch ein Ehepaar,
Was glücklich und zufrieden war.
Er, sonst gesund, war blind und stumm;
Sie sehend, aber lahm und krumm
An jedem Glied, bis auf die Zunge
Und eine unverletzte Lunge.
Das paßte schön. Sie reitet ihn
Und, selbstverständlich, leitet ihn
Als ein geduldig Satteltier,
Sie obenauf, er unter ihr,
Ganz einfach mit geringer Müh,
Bloß durch die Worte Hott und Hü,
Bald so, bald so, vor allen Dingen
Dahin, wo grad die Leute gingen.
Fast jeder, der's noch nicht gesehn,
Bleibt unwillkürlich stille stehn,
Ruft: "Lieber Gott, was ist denn das?"
Greift in den Sack, gibt ihnen was
Und denkt noch lange gern und heiter
An dieses Roß und diesen Reiter.
So hätten denn gewiß die zwei
Durch fortgesetzte Bettelei,
Vereint in solcherlei Gestalt,
Auch ferner ihren Unterhalt,
Ja, ein Vermögen sich erworben,
Wär' Bischof Martin nicht gestorben.
Als dieser nun gestorben war,
Legt man ihn auf die Totenbahr
Und tät' ihn unter Weheklagen
Fein langsam nach dem Dome tragen
Zu seiner wohlverdienten Ruh.
Und sieh, ein Wunder trug sich zu.
Da, wo der Zug vorüberkam,
Wer irgend blind, wer irgend lahm,
Der fühlte sich sogleich genesen,
Als ob er niemals krank gewesen.
Oh, wie erschrak die lahme Frau!
Von weitem schon sah sie's genau,
Weil sie hoch oben, wie gewohnt,
Auf des Gemahles Rücken thront.
"Lauf", rief sie, "laufe schnell von hinnen,
Damit wir noch beizeit entrinnen."
Er läuft, er stößt an einen Stein,
Er fällt und bricht beinah ein Bein.
Die Prozession ist auch schon da.
Sie zieht vorbei. Der Blinde sah,
Die Lahme, ebenfalls kuriert,
Kann gehn, als wie mit Öl geschmiert,
Und beide sind wie neugeboren
Und kratzen sich verdutzt die Ohren.
Jetzt fragt es sich: Was aber nun?
Wer leben will, der muß was tun.
Denn wer kein Geld sein eigen nennt
Und hat zum Betteln kein Talent
Und hält zum Stehlen sich zu fein
Und mag auch nicht im Kloster sein,
Der ist fürwahr nicht zu beneiden.
Das überlegten sich die beiden.
Sie, sehr begabt, wird eine fesche
Gesuchte Plätterin der Wäsche.
Er, mehr beschränkt, nahm eine Axt
Und spaltet Klötze, daß es knackst,
Von morgens früh bis in die Nacht.
Das hat Sankt Martin gut gemacht.
Wilhelm Busch (1832 - 1908), deutscher Zeichner, Maler und Schriftsteller
Quelle: Busch, W., Gedichte. Schein und Sein, 1909
Sein Mysterium
Abends, vor einem Gymnasium,
stand ein Mann auf einem Podium
und erzählte seinem Publikum
Neuheiten vom Planetarium.
Er sprach vom Licht im Universum
und dessen Entwicklungsstadium
von Materie und Helium
und von schwarzen Löchern ringsherum.
Doch urplötzlich mit Radau, bum, bum,
fiel des Redners Messinglampe um,
es ergoss sich viel Petroleum
und entflammte Pult und Podium.
Kurzerhand, der Redner – war nicht dumm –
griff entschlossen zum Harmonium,
drehte sich dreimal im Kreis herum,
schnappte all sein Sammelsurium.
Lauthals schrie er dann – Silentium!
und verließ das Territorium,
ein Haus weiter, vorm Aquarium,
begann von vorn – sein Mysterium.
© Horst Rehmann (*1943), deutscher Publizist, Maler, Schriftsteller und Kinderbuchautor
Schreckliche Folgen eines Bleistifts
II
Übrigens (das muß man sagen)
Was die edle Kunst betraf,
Überhaupt in seinem Fache,
War Pedrillo wirklich brav.
So z. B. die Madonna;
Ja, wer hätte das gedacht?
Selbst der große Don Murillo
Hätte Beßres nicht gemacht.
Aber so was kostet Mühe,
Und es kostet auch noch Geld,
Denn Pedrillo hatte häufig
Sich dazu Modell bestellt.
Sie war eine Schneiderstochter
Aus der Vorstadt von Madrid,
Schwarze Augen, blonde Flechten
Brachte dieses Mädchen mit.
Als Pedrillo nun gemalet
Dieses Mädchen als Porträt,
War der große Don Murillo
Auch nicht ungern in der Näh'.
Früh vom Morgen bis zum Abend
Unterweist der Meister ihn,
Und Pedrillo folgte willig
Stets mit eifrigem Bemühn.
Aber abends, wo ein jeder
Gerne seine Ruhe hat,
Führt' Pedrillo jenes Mädchen
Oft spazieren vor die Stadt.
Wilhelm Busch (1832 - 1908), deutscher Zeichner, Maler und Schriftsteller
Quelle: Busch, in: Fliegende Blätter und Münchner Bilderbogen, 1859-71