3 Gedichte über Frühling von Ernst Maria Richard Stadler.
Vorfrühling
In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch und grünem Saatregen.
Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung ging ich weit hinaus
Bis zu dem unbedecktem Wall und spürte: meinem Herzen schwoll ein neuer Takt entgegen.
In jedem Lufthauch war ein junges Werden ausgespannt.
Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.
Schon dehnte sich bereitet Acker. In den Horizonten eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins Weite führen sollten.
Die Schleusen knirschten. Abenteuer brach aus allen Fernen.
Überm Kanal, den junge Ausfahrtwinde wellten, wuchsen helle Bahnen,
In deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.
In meinem Herzen lag ein Stürmen wie von aufgerollten Fahnen.
Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust. Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang.
Ernst Maria Richard Stadler (1883 - 1914 (gefallen)), deutscher Schriftsteller, Wegbereiter expressionistischer Lyrik und Übersetzer u.a. französischer Literatur
Quelle: Stadler, Gedichte. Der Aufbruch, Erstdruck 1914. Die Flucht
Frühlingsnacht
Die Kirschbaumblüten im lichtdurchschwemmten Garten
Sind wie Kandelaber von Millionen Kerzen,
Die das Vollmondfeuer angesteckt. Die zarten Kissen
Grüngesprengten Rasens zwischen Krokusbeeten
Sind besteckt mit weißen Perlensäumen,
Und die kühle spiegelhelle Luft
Ist ein feiner Schleier von gewebtem Silber,
Den die Lenznacht heimlich glühend um die
Weiße warme Nacktheit ihrer Glieder hängt.
Ernst Maria Richard Stadler (1883 - 1914 (gefallen)), deutscher Schriftsteller, Wegbereiter expressionistischer Lyrik und Übersetzer u.a. französischer Literatur
Quelle: Stadler, Gedichte. Verstreute Gedichte aus den Jahren 1910 bis 1914
Vorfrühling
Bäume weiß ich, frühlingsstarke Bäume,
denen gärend der Jugend Saft
durch glühende Adern singt.
Die lechzend verlangen
nach dem Rausche der Erfüllung.
Aber noch starren sie kahl und stumm.
Harte Schorfe ketten die vorschwellenden Triebe.
Und in wilden Träumen nur langen sie empor
zu dem schaffenden Licht,
daß es sie bade in Glanz und Glut.
Weiten sich ihre Äste, daß gierig sie einsögen
den zauberstarken Most lauen Sommerregens,
zu erblühen und zu leben gleich ihren Brüdern.
Denn noch kennen sie nicht den Sommerrausch
der Erfüllung. Aber krachend durchwühlt ihren Leib
der Lenzstrom der Ahnung.
Wanderer ziehen vorüber,
und also spricht einer zum anderen:
»Sehet die Bäume dort,
wie kahl sie stehen und stumm!
Kalt schleppt sich ihr Blut, und mürrisch fliehen
sie des Lenzes sanft wirkende Kraft.
Lasset sie im Dunkeln, die Finstern! ...«
So sprechen sie und gehen vorbei. –
Und nicht einer,
der sähe die stürmenden Flammen der Sehnsucht,
die gierend aus ihren Augen lodern
und verzehrend über ihnen zusammengluten ...
Ernst Maria Richard Stadler (1883 - 1914 (gefallen)), deutscher Schriftsteller, Wegbereiter expressionistischer Lyrik und Übersetzer u.a. französischer Literatur
Quelle: Stadler, Gedichte. Der Aufbruch, Erstdruck 1914. Die Flucht