9 Gedichte über Gerechtigkeit.
Wir schwören deshalb vor aller Welt
auf diesem Appellplatz,
an dieser Stätte des faschistischen Grauens:
Wir stellen den Kampf erst ein,
wenn auch der letzte Schuldige
vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus
mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt
des Friedens und der Freiheit
ist unser Ziel.
Schwur der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald am 19. April 1945
Zweyerlei Diebe
Wers gantze land beraubt,
kann frey und sicher leben.
Wer nur ein haus bestiehlt,
muß an dem galgen schweben.
Die grossen Dieb' entgehn.
Die kleinen müssen hangen.
So können gleiche werck'
ungleichen lohn erlangen.
Nicolaus Ludwig Esmarch (1654 - 1719), deutscher Barockdichter
Es ist die große Sache aller Staaten
Und Thronen, daß gescheh', was rechtens ist,
Und jedem auf der Welt das Seine werde;
Denn da, wo die Gerechtigkeit regiert,
Da freut sich jeder, sicher seines Erbs,
Und über jedem Hause, jedem Thron,
Schwebt der Vertrag, wie eine Cherubswache.
Friedrich von Schiller (1759 - 1805), Johann Christoph Friedrich Schiller, ab 1802 von Schiller, deutscher Arzt, Dichter, Philosoph und Historiker; gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dramatiker und Lyriker
Quelle: Schiller, Demetrius. Fragment, 1805; uraufgeführt in Weimar am 15. Februar 1857. Erster Aufzug, Demetrius
Vorurteile
Nichts ist im Leben wirklich wichtig.
Mal ist was falsch – mal ist was richtig!
Der einzig kleine Unterschied:
Durch welche Brille man es sieht.
Um einen andern zu verstehn,
muss man ihn erst mal richtig sehn!
Man urteilt schnell – nur so von außen
und lässt die Fairness gerne draußen.
Manch Urteil ist mehr schlecht als recht!
Man selbst hält sich für gut und echt,
Die Bösen, das sind nur die andern,
da wir den Pfad der Tugend wandern!
Doch, wenn wir einmal in uns gehen
und richtig in den Spiegel sehen,
geh'n mit uns selbst mal ins Gericht:
Dann seh'n wir unser wahr' Gesicht!
Auch wir haben Narben, Beulen, Falten,
die wir vom Lebenskampf erhalten.
Wir waren auch nicht stets die besten,
und mancher Fleck ziert uns're Westen!
Wir nehmen manchmal uns zu wichtig,
urteilen falsch – und selten richtig.
Der einzig kleine Unterschied:
Durch welche Brille man es sieht!
Und die Moral von dem Gedicht:
Verurteil' Deinen Nächsten nicht!
Denn ob wir tadeln oder loben:
Das letzte Urteil kommt von oben!
© Willy Meurer (1934 - 2018), deutsch-kanadischer Kaufmann, Aphoristiker und Publizist, M.H.R. (Member of the Human Race), Toronto
Der Junker und der Bauer
Ein Bauer trat mit seiner Klage
vor Junker Alexander hin:
"Vernehmt, Herr, daß ich heut am Tage
recht übel angekommen bin:
Mein Hund hat Eure Kuh gebissen.
Wer wird den Schaden tragen müssen?"
"Schelm, das sollst du!" fuhr hier der Junker auf,
"für dreißig Taler war mir nicht die Kuh zum Kauf,
die sollst du diesen Augenblick erlegen.
Das sei hiermit erkannt von Rechtes wegen."
"Ach nein, gestrenger Herr! ich bitte, hört"
rief ihm der Bauer wieder zu,
"ich hab es in der Angst verkehrt;
nein, Euer Hund biß meine Kuh."
Und wie hieß nun das Urteil Alexanders?
"Ja, Bauer! Das ist ganz ein anders!"
Michael Richey (1678 - 1761), deutscher Theologe, Gelehrter und Dichter; Mitglied der "Patriotischen Gesellschaft"
Quelle: Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für altmodische Leute, Leipzig 1885. Erschien zuerst unter Ramlers Namen im ersten Band von Carl Wilhelm Ramlers 'Fabellese', Berlin 1783, ist aber eine Nachdichtung eines bereits 1731 von Michael Richey gedichteten Textes
Entfernt Bestechung, Goldsucht, Zwang
In jeglicher Gestalt!
Zertrümmern wird, was Euch gelang,
Mißbraucht Ihr nun Gewalt.
Johann Caspar Lavater (1741 - 1801), auch Johann Kaspar Lavater, reformierter Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller aus der Schweiz, Hauptvertreter der Physiognomik
Quelle: Lavater, Vermischte gereimte Gedichte vom Jahr 1766 bis 1785, 1785. Lied eines Schweitzers über die französische Revolution
Der eine hat den Beutel, der andere das Geld,
dem Bettler wird ganz unverhohlen
auch noch der letzte Sack gestohlen.
Das ist Gerechtigkeit in dieser Welt.
Wird doch der Lügner mal belogen
und der Betrüger mal betrogen,
dann ist sie wieder hergestellt.
© Erhard Blanck (*1942), deutscher Heilpraktiker, Schriftsteller und Maler
Was ist am schwersten
auf Erden zu erreichen?
Ein rechter Mensch zu sein
nach allen Seiten:
zur Höhe, zur Tiefe,
zum Teil und zum Ganzen,
zum Kleinen, zum Großen,
zu sich und zum Andern,
zum Leben, zum Sterben,
zur Welt und zu Gott.
© Carl Peter Fröhling (*1933), Dr. phil., deutscher Germanist, Philosoph und Aphoristiker
Mein Gefängnis
Auf dem Meer tanzt die Welle
nach der Freiheit Windmusik.
Raum zum Tanz hat meine Zelle
siebzehn Meter im Kubik.
Aus dem blauen Himmel zittert
Sehnsucht, die die Herzen stillt.
Meine Luke ist vergittert
und ihr dickes Glas gerillt.
Liebe tupft mit bleichen, leisen
Fingern an mein Bett ihr Mal.
Meine Pforte ist aus Eisen,
meine Pritsche hart und schmal.
Tausend Rätsel, tausend Fragen
machen manchen Menschen dumm.
Ich hab eine nur zu tragen:
Warum sitz ich hier? Warum?
Hinterm Auge wohnt die Träne,
und sie weint zu ihrer Zeit.
Eingesperrt sind meine Pläne
namens der Gerechtigkeit.
Erich Mühsam (1878 - 1934 (ermordet im KZ Oranienburg)), dt. Schriftsteller, Anarchist und Pazifist, Hg. der Zeitschriften "Kain" und "Fanal"