314 Zitate und 74 Gedichte über Mutter.
Ich bin's gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,
Mein Sinn ist auch ein bißchen starr und zähe;
Wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,
Ich würde nicht die Augen niederschlagen.
Doch, liebe Mutter, offen will ich's sagen:
Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,
In deiner selig süßen, trauten Nähe
Ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.
Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget,
Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet,
Und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?
Quält mich Erinnerung, daß ich verübet
So manche Tat, die dir das Herz betrübet?
Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?
Heinrich Heine (1797 - 1856), Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons
Quelle: Heine, H., Gedichte. Buch der Lieder. Junge Leiden. Sonette. An meine Mutter B. Heine, 1.
Der verlorene Sohn
Mutter, aus der Fremde kehre
elend ich zu dir zurück.
Hab verloren Herz und Ehre
und verloren Gold und Glück.
Ach, als ich an deinen Händen
noch durch Blust und Sommer lief!
Rosen blühten allerenden,
und der braune Kuckuck rief.
Himmel wehte als ein Schleier
um dein liebes Angesicht,
Schwäne glänzten auf dem Weiher,
und die Nacht selbst war voll Licht.
Deine Güte Sterne säte,
und beruhigt schlief ich ein.
Mutter, Mutter, bete, bete!
Laß dein Kind mich wieder sein.
Klabund (1890 - 1928), eigentlich Alfred Henschke, deutscher Schriftsteller, Übersetzer ostasiatischer Dichtkunst, Lyriker, Dramatiker und Komödienschreiber
An die Mutter
Kennst, teure Mutter, du die schöne Fabel,
wie stets der Sonnengott zur Mutter fliegt,
die jede Nacht in ihrem welken Schoße
den wegemüden Sohn in Schlummer wiegt?
Muß er doch tagelang die Welt durchirren,
hat doch der Arme längst der Fahrt genug
durch graue Nebel, Wetter, düstre Wolken,
ach, fast so viel als je ein Mensch ertrug.
Er legt als Greis sich und ersteht als Jüngling
und strahlt mit neuer Kraft durchs Morgenrot –
O Mutter, Mutter, voller Engelsgüte, –
ich hab' es so wie diese Sonne not!
Jan Neruda (1834 - 1891), tschechischer Schriftsteller, Journalist, richtungweisender Feuilletonist und bedeutender Lyriker
Denk an das Aug', das überwacht
Noch eine Freude dir bereitet,
Denk an die Hand, die manche Nacht
Dein Schmerzenslager dir gebreitet,
Des Herzens denk, das einzig wund
Und einzig selig deinetwegen,
Und dann knie nieder auf den Grund
Und fleh um deiner Mutter Segen!‹
Annette von Droste-Hülshoff (1797 - 1848), eigentlich Anna Elisabeth Freiin von Droste zu Hülshoff, deutsche Dichterin
Quelle: Droste-Hülshoff, Gedichte. Aus: Mein Beruf