314 Zitate und 74 Gedichte über Mutter.
Weisheit der Mütter: Nicht nur alte Uhren haben eine Unruh.
© Wolfgang J. Reus (1959 - 2006), deutscher Journalist, Satiriker, Aphoristiker und Lyriker
Quelle: Reus, Zeit-Zeugnisse, 2002-2006. 37
Das eine ist wahr: Es ist zehnmal leichter, eine sehr gute Blutsmutter zu sein, als eine mittelmäßige Stiefmutter oder Adoptivmutter, denn die Menschen lieben vor allem ihr eigenes Blut, das, was bei der einen Frau herzmotorisch von selbst dahinstürmt, muß die andere mit kleinen Wäglein, das ihre Nächstenliebe zimmerte, mühselig die Straße lang hinterherziehen. Beim Weibe ist das Herz der Motor, der Wille nur ein schwaches Muskelspiel. Und doch – ach, schreckliche Täuschung! Wenn du ein wenig Vertrauen hättest, kinderloses Weib, ein bißchen Selbstüberwindung, ein wenig Geduld – in ein paar Jahren schon, vielleicht schon in ein paar Wochen, würde die Gewöhnung die stärkste Riesin der Welt, dir den Schauer vor dem fremden Blut aus dem Herzen genommen haben, du würdest das fremde Kind wie das deine betrachten, es umsorgen und, wenn es dir genommen würde, wahrscheinlich ebenso weinen, wie wenn es Blut von deinem Blut gewesen wäre.
Paul Keller (1873 - 1932), deutscher Schriftsteller
Quelle: Keller, Marie Heinrich. Roman, 1926
Das Erkennen
Ein Wanderbursch' mit dem Stab in der Hand
Kommt wieder heim aus dem fremden Land.
Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt,
Von wem wird der Bursch' wohl zuerst erkannt?
So tritt er ins Städtchen durchs alte Tor,
Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.
Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund,
Oft hatte der Becher die beiden vereint.
Doch sieh – Freund Zollmann kennt ihn nicht,
Zu sehr hat die Sonn' ihm verbrannt das Gesicht;
Und weiter wandert nach kurzem Gruß
Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß.
Da schaut aus dem Fenster sein Schätzel fromm,
"Du blühende Jungfrau, vielschönen Willkomm!"
Doch sieh – auch das Mägdlein erkennt ihn nicht,
Die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.
Und weiter geht er die Straße entlang,
Ein Thränlein hängt ihm an der braunen Wang'!
Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her,
"Gott grüß euch!" so spricht er,
Und sonst nichts mehr.
Doch sieh – das Mütterlein schluchzet vor Lust:
"Mein Sohn!" und sinkt an des Burschen Brust.
Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
Das Mutteraug' hat ihn doch gleich erkannt.
Johann Nepomuk Vogl (1802 - 1866), österreichischer Schriftsteller, Lyriker und Publizist
Muttertraum
Die Mutter betet herzig und schaut
Entzückt auf den schlummernden Kleinen.
Er ruht in der Wiege so sanft und traut.
Ein Engel muß er ihr scheinen.
Sie küßt ihn und herzt ihn, sie hält sich kaum.
Vergessen der irdischen Schmerzen,
Er schweift in der Zukunft ihr Hoffnungstraum,
So träumen Mütter im Herzen.
Der Rab' indes mit der Sippschaft sein
Kreischt draußen am Fenster die Weise:
Dein Engel, dein Engel wird unser sein,
Der Räuber dient uns zur Speise.
Hans Christian Andersen (1805 - 1875), dänischer Märchendichter
Mutterns Hände
Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm –
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht ...
alles mit deine Hände.
Hast de Milch zujedeckt,
uns Bobongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragen –
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält ...
alles mit deine Hände.
Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch 'n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Sticker acht,
sechse sind noch am Leben ...
Alles mit deine Hände.
Heiß warn se un kalt.
Nu sind se alt.
Nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.
Kurt Tucholsky (1890 - 1935 (Freitod)), Pseudonyme: Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel; dt. Schriftsteller, Journalist, Literatur- und Theaterkritiker der Zeitschrift "Die Schaubühne" (später umbenannt in "Die Weltbühne"), zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik
Quelle: Tucholsky, Werke 1907-1935. In: Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1929, Nr. 30 (Kurt Tucholsky),
wieder in: Lerne lachen ohne zu weinen, 1931 und Deutschland, Deutschland über Alles. Ein Bilderbuch, 1929