20 Zitate und 1 Gedicht über Nationalsozialismus.
Für bestimmte Geschehnisse in der Nazizeit gibt es keine adäquaten Erklärungen. Die Wörter der menschlichen Sprache sind für Vorkommnisse dieser Art nicht geschaffen.
© Manfred Poisel (*1944), deutscher Werbetexter, »Sprach-Juan« und »Verbanova«
Quelle: Poisel, Küßchen vom Mann im Mond. Der Mensch & die Liebe, Frieling Verlag Berlin 2001
Stell Dir vor
auf der Eisenbahnstrecke Wien-Paris
liegt
an den Schienen
eng aneinandergepreßt
ein Mensch neben dem anderen
den Kopf auf der Schiene
und am anderen Schienenstrang
liegt ebenfalls
eng aneinandergepreßt
ein Mensch neben dem anderen
den Kopf auf der Schiene
und stell Dir vor
Du sitzt im Zug
und fährst
von Wien nach Paris
und unter Dir über den Schienen
die Köpfe der Leute
Du fährst fünfzehn Stunden
und jede Sekunde
überrollt der Zug
ein paar Köpfe
von Wien bis Paris
tausendvierhundert Kilometer
fünfzehn Stunden lang
So viele Menschen
wurden in den KZs
des Dritten Reiches getötet
© Gerald Dunkl (*1959), österreichischer Psychologe und Aphoristiker
Thoreau ist als Pazifist und Individualist das Gegenbild zum Leittypus des Nationalsozialismus. Und doch stammt er von einer Menschengruppe ab, der Rosenberg, einer der Chefideologen des Nationalsozialismus, höchsten rassischen Wert zusprach: den Hugenotten. Aus nationalsozialistischer Sicht also: Beste Abstammung, aber falsche Einstellung. Daß so etwas möglich ist, hätte die Nationalsozialisten im Grunde zutiefst beunruhigen müssen. Zeigte es doch, daß es durchaus denkbar war, daß nach Vernichtung der Juden und anderer Feinde einige Generationen später die Ariersprößlinge sich die Weltanschauung der Vernichteten hätten mindesten zum Teil zu eigen machen können.
© Gregor Brand (*1957), deutscher Schriftsteller, Lyriker und Verleger
Quelle: Brand, Meschalim. Zweitausend Aphorismen, Gregor Brand Verlag 2007
Den ermordeten jüdischen Opfern der Hitlerzeit hat es nichts genützt, wenn sie langköpfig waren, ihre Augen blau und ihre Haare blond. Diese mörderische Art von Antisemitismus war keine Folge der nordischen Idee. Gegen vier Großeltern jüdischen Glaubens kam keine Rasse an. War der Nationalsozialismus wirklich eine rassische Weltanschauung? Wurden nicht auch noch die blondesten Kommunisten oder Priester verfolgt? Bogen nicht Parteibuch und Parteiaktivität auch noch die krummste Nase gerade und blondierten die dunkelsten Haare?
© Gregor Brand (*1957), deutscher Schriftsteller, Lyriker und Verleger
Quelle: Brand, Meschalim. Zweitausend Aphorismen, Gregor Brand Verlag 2007
Die Karrieristen des Nationalsozialismus hätten auch ohne diesen Karriere gemacht. Die Menge an persönlicher Bosheit und Dummheit der Menschen scheint immer etwa gleich groß bleiben zu müssen.
© Rainer Kohlmayer (*1940), Professor für Interkulturelle Germanistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Herausgeber der Zeitschrift »Die Schnake«, Autor und Übersetzer von Theaterstücken
Quelle: Kohlmayer, Die Schnake, Ausgaben 15+16
Nationalismus:
Versuch, vor der Zukunft in die Vergangenheit zu entfliehen.
© Manfred Rommel (1928 - 2013), deutscher CDU-Politiker, ehemaliger Stuttgarter Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetages (1977-83)
Quelle: Manfred Rommels politisches Lexikon, gefunden und hg. von Ulrich Frank-Planitz. Deutsche Verlags-Anstalt GmbH 2001, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags
Auslese, Säuberung – nette Begriffe, nur ziemlich blutbesudelt.
© Henryk Bereska (1926 - 2005), Lyriker, Übersetzer und Aphoristiker, Mitglied des PEN-Zentrums
Quelle: Bereska, Und wenn die mageren Jahre die fetten waren? Aphorismen und Notate, 2000
Die nationalsozialistische Bewegung hat eine geräuschvolle Gegenwart, aber gar keine Zukunft. Sie lebt von der Erregung plötzlich proletarisierter Schichten, die nicht wissen, welchen politischen und ökonomischen Kräften sie ihren Sturz aus bürgerlicher Geborgenheit in ein soziales Pariatum verdanken.
Carl von Ossietzky (1889 - 1938), deutscher pazifistischer Chefredakteur der "Weltbühne", Schriftsteller und Symbolfigur des Widerstands gegen das NS-Regime, Friedensnobelpreis 1935
Quelle: Ossietzky, in: Der Rote Aufbau. Nationalsozialismus oder Kommunismus?, Nr. 9, September 1930
Eigentlich sollte sich an jedem Träger von genagelten Stiefeln
auch ein an den Kopf genagelter Helm befinden.
© Martin Gerhard Reisenberg (*1949), Diplom-Bibliothekar und Autor