294 Zitate und 365 Gedichte über Sehnsucht.
Abendstimmung
Glühendrot der Sonnenball
will ins Meer versinken,
und die Fluren überall
Tau und Frieden trinken;
leise wiegt die Knospe sich
an dem braunen Zweige…
Traumhaft kommt sie über mich,
Sehnsucht tief und wunderlich,
geht der Tag zur Neige.
Clara Müller-Jahnke (1860 - 1905), deutsche Dichterin, Journalistin und Frauenrechtlerin
Quelle: Müller-Jahnke, Gedichte, Gesamtausgabe, hg. von Oskar Jahnke 1910
Hoffnung (für F.)
Du bist zur Zeit
ein leeres Sehnsuchtsblatt
in meinem Herzen.
Und doch fühle ich,
daß wir es eines Tages
wieder gemeinsam
beschriften werden.
© Kristiane Allert-Wybranietz (1955 - 2017), deutsche Dichterin und Lyrikerin
Quelle: Allert-Wybranietz, Trotz Alledem, lucy körner Verlag 1980
Innere Schweinehunde kann man besiegen, die Sehnsucht nicht.
© Jens P. (*1971), Gelegenheitsaphoristiker
dritter mai
spürst du es?
ich liebe dir
entgegen
sehnsucht eilt
mir
voran
stummfreudige
küsse
stolpern zu
dir
zeit heimzukehren.
© Cosima Bellersen Quirini (*1960), Kulturhistorikerin und Autorin
Sehnsucht, Hunger nach Liebe und Anerkennung birgt die Gefahr, sich benutzen zu lassen.
© Else Pannek (1932 - 2010), deutsche Lyrikerin
Das Verzehren nach dem, was du nicht hast, läßt dich erkennen, daß sich nur die Fronten verschoben haben...daß das Heute das ist, was im Gestern noch beneidenswert schien...und schürt die Neugier auf andere Wege.
© Damaris Wieser (*1977), deutsche Lyrikerin und Dichterin
Sehnsucht
Wär' ich der Regen,
ich wollte mich legen
der Erde ans Herz;
wie sollte sie blühen
und jauchzen und glühen.
Wär' ich die Sonne,
ich sög' mich vor Wonne
ins dampfende Meer;
wie sollt' es da rauschen
und Küsse tauschen!
Julius Mosen (1803 - 1867), eigentlich Julius Moses, sächsischer Dichter und Schriftsteller, dichtete das »Andreas-Hofer-Lied«
Franziska
Franziska, mein reizender Falter,
Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter
Den keimenden Busen geschnürt,
Dann klafften wohl nicht die Gewänder,
Sobald ich nur eben die Bänder
Mit harmlosem Finger berührt.
Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,
Als erster die Küsse zu pflücken
Der zarten, jungfräulichen Haut.
Mich blendet die schneeige Weiße,
Solang' ich das Fleisch nicht, das heiße,
Mit bebenden Lippen betaut.
Denn gleich wie die Knospe der Blume
Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme
Der Rose am üppigen Strauch,
So seh' ich bescheiden erst schwellen
Die keuschen, die kindlichen Wellen,
Umweht von berauschendem Hauch.
O! glaub mir, die Monde entfliehen,
Die Rosen verwelken, verblühen
Und fallen dem Winter zum Raub.
Es kommen und gehen die Jahre,
Man legt deinen Leib auf die Bahre
Und alles wird Moder und Staub.
Frank Wedekind (1864 - 1918), deutscher Journalist und Dramatiker
Die Spröde
Ich sahe eine Tig'rin
Im dunkeln Haine,
Und doch mit meinen Tränen
Konnt' ich sie zähmen.
Sah auch die harten Steine,
Ja Marmelsteine,
Erweicht vom Fall der Tropfen
Gestalt annehmen.
Und du, so eine zarte,
Holdsel'ge Kleine,
Du lachst zu meinem Seufzen
Und bittern Grämen.
August Kopisch (1799 - 1853), deutscher Kunstexperte, Maler, Gelegenheitsdichter und Übersetzer von neapolitanischen Komödien
Ich lieb eine Blume, doch weiß ich nicht welche;
Das macht mir Schmerz.
Ich schau in alle Blumenkelche,
Und such ein Herz.
Es duften die Blumen im Abendscheine,
Die Nachtigall schlägt.
Ich such ein Herz, so schön wie das meine,
So schön bewegt.
Die Nachtigall schlägt, und ich verstehe
Den süßen Gesang;
Uns beiden ist so bang und wehe,
So weh und bang.
Heinrich Heine (1797 - 1856), Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons
Quelle: Heine, H., Gedichte. Neue Gedichte. Neuer Frühling, 4.