142 Zitate und 66 Gedichte über Vergänglichkeit.
Auf Erden nichts geschaffen ist,
Was hat Bestand für lange Frist.
Freidank (Vrîdanc) (um 1170 - um 1233), auch Vrîgedanc, bürgerlicher Schwabe, Kreuzzugteilnehmer 1228/29, Verfasser des Lehrgedichts »Bescheidenheit«
Quelle: Freidank, Bescheidenheit, entstanden zwischen 1215 und 1230
So war's
Der Teetopf war so wunderschön,
Sie liebt ihn wie ihr Leben.
Sie hat ihm leider aus Versehn
Den Todesstoß gegeben.
Was sie für Kummer da empfand,
Nie wird sie es vergessen.
Sie hielt die Scherben aneinand
Und sprach: So hat's gesessen!
Wilhelm Busch (1832 - 1908), deutscher Zeichner, Maler und Schriftsteller
Quelle: Busch, W., Gedichte. Schein und Sein, 1909
Ballade des äußeren Lebens
Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
Und alle Menschen gehen ihre Wege.
Und süße Früchte werden aus den herben
Und fallen nachts wie tote Vögel nieder
Und liegen wenig Tage und verderben.
Und immer weht der Wind, und immer wieder
Vernehmen wir und reden viele Worte
Und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.
Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
Sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,
Und drohende, und totenhaft verdorrte . . .
Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen
Einander nie? und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?
Was frommt das alles uns und diese Spiele,
Die wir doch groß und ewig einsam sind
Und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?
Was frommt's, dergleichen viel gesehen haben?
Und dennoch sagt der viel, der "Abend" sagt,
Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.
Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929), österr. Lyriker, Dramatiker, Erzähler; gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten des deutschsprachigen Fin de Siècle und der Wiener Moderne, Mitbegründer der Salzburger Festspiele; Librettist für Richard Strauss' Opern
Wie vom Sturm verweht,
So das Leben vergeht;
Wie der Tag nicht weilt,
So das Glück enteilt;
Wie der Abend sinkt,
So der Tod uns winkt.
Friedrich Wilhelm Gubitz (1786 - 1870), deutscher Schriftsteller und Holzschnitzer
Wie vergänglich ist doch der Mensch auf dieser Erde, ein Baum überdauert ihn, eine Steinstufe wird hundertmal älter, als der Menschenfuß, der sie tritt.
Paul Keller (1873 - 1932), deutscher Schriftsteller
Quelle: Keller, P., Gedichte und Gedanken, 1933
Ruhm, Jugend, Stolz – das Grab weiß alle zu erfassen!
Etwas gern möchte wohl der Mensch zurücke lassen
Beim Scheiden aus der Zeit!
Umsonst! Die Dinge gehn zurück, von wo sie kamen;
Den Rauch, die Luft, den Staub, die Erde – heim
Den Namen
Nimmt die Vergessenheit.
Victor Hugo (1802 - 1885), Victor-Marie Hugo, franz. Schriftsteller, politisch engagiert, Mitglied der Académie Française
Alles stolze Lachen und alles wehe Weinen verweht im Winde, ja alles, was heute groß und trotzig ist und zum Anbeten schön oder zum Verzweifeln schrecklich, ist flüchtiger als der Wind; denn der Wind weht jeden Tag, und was unser ist, ist eine kleine Weile, verschwindet in Vergessenheit und kehrt nie wieder.
Paul Keller (1873 - 1932), deutscher Schriftsteller
Quelle: Keller, P., Gedichte und Gedanken, 1933
Wenn es Mittag ist, sehe ich den großen Eiszapfen des Nachbarhauses angezündet. Mit der Regelmäßigkeit eines Sekundenzeigers lösen sich alsdann Tropfen von ihm ab, und jeder Tropfen bedeutet diesem Gebilde, daß es um eine Sekunde Daseinsdauer geschmälert ist.
Heinrich Noè (1835 - 1896), deutscher Schriftsteller und Hofbibliothekar in München
Es gibt gemalte Bilder, die sich Jahrhunderte frisch und jung erhalten; die Bilder im Menschenherzen erhalten sich nur ein paar Jahre, dann verblassen sie. Sie sind wohl immer noch da, aber sie stehen wie in kühlen Nischen einer großen Kirche auf selten besuchten Altären, und der graue Staub des langsamen Vergessens sinkt über sie – jeden Tag ein Körnchen.
Paul Keller (1873 - 1932), deutscher Schriftsteller
Quelle: Keller, P., Gedichte und Gedanken, 1933
12 Fragen
1 Ist es nicht seltsam,
... dass wir vom Glück glauben
wir hätten es verdient,
aber vom Unglück denken,
es wäre nicht gerecht?
2 Ist es nicht seltsam,
... dass Erfahrungen, die wir vergessen wollen,
uns am längsten in Erinnerung bleiben,
aber Momente, die wir festhalten möchten,
so schnell an Deutlichkeit verlieren?
3 Ist es nicht seltsam,
... dass wir darauf bestehen,
für eine Sache kämpfen zu dürfen,
es aber als lästig empfinden,
um etwas kämpfen zu müssen?
4 Ist es nicht seltsam,
... dass wir in guten Zeiten
so voller Optimismus sind,
in schlechten Zeiten uns aber
jegliche Zuversicht fehlt?
5 Ist es nicht seltsam,
... dass das Gegenteil von Liebe
die Gleichgültigkeit ist,
das Gegenteil der Gleichgültigkeit
aber auch der Haß sein kann?
6 Ist es nicht seltsam,
... dass wir ein Leben lang
das Glück in der Liebe suchen,
anstatt das Leben zu lieben
und darin unser Glück zu finden?
7 Ist es nicht seltsam,
... dass Freudentränen genauso schmecken
wie die aus Schmerz und Kummer,
sie unserem Leben aber einen völlig
anderen Geschmack verleihen?
8 Ist es nicht seltsam,
... dass wir es genießen,
wenn wir alleine sein können,
aber daran verzweifeln,
wenn wir alleine sein müssen
9 Ist es nicht seltsam,
... dass wir von angenehmen Dingen
nie genug bekommen können,
aber beim Unangenehmen
sofort die Grenze erreicht ist?
10 Ist es nicht seltsam,
... dass ALLES gegeben zu haben
immer noch zuwenig sein kann,
und NICHTS zu bekommen
einem irgendwann zuviel wird?
11 Ist es nicht seltsam,
... dass wir viele Dinge erst richtig sehen,
wenn wir unsere Augen verschließen,
und manchmal ein dunkler Schatten
etwas erst ins rechte Licht rückt?
12 Ist es nicht seltsam,
... dass man etwas finden kann
ohne danach gesucht zu haben,
und dass all diese Fragen
eigentlich auch Antworten sind?
© Gerhard Feil (*1966), bekennender Webdesigner
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