90 Zitate und 145 Gedichte über Winter.
Winterwärme
Mit brennenden Lippen,
unter eisblauem Himmel,
durch den glitzernden Morgen hin,
in meinem Garten,
hauch ich, kalte Sonne, dir ein Lied.
Alle Bäume scheinen zu blühen;
von den reifrauhen Zweigen
streift dein Frühwind
schimmernde Flöckchen nieder,
gleichsam Frühlingsblendwerk;
hab Dank!
An meiner Dachkante hängt
Eiszapfen neben Zapfen,
starr;
die fangen zu schmelzen an.
Tropfen auf Tropfen blitzt,
jeder dem andern unvergleichlich,
mir ins Herz.
Richard Dehmel (1863 - 1920), Richard Fedor Leopold Dehmel, dt. Dichter, Lyriker, Dramatiker und Kinderbuchautor
Erster Schnee
Aus silbergrauen Gründen tritt
ein schlankes Reh
im winterlichen Wald
und prüft vorsichtig Schritt für Schritt,
den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee.
Und deiner denk ich, zierlichste Gestalt.
Christian Morgenstern (1871 - 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer
Ach, die bleiche Sonne Wintersonne!
Sie ist traurig wie eine glückliche Erinnerung.
Gustave Flaubert (1821 - 1880), französischer Erzähler und Novellist
Gefroren hat es heuer
Noch gar kein festes Eis.
Das Büblein steht am Weiher
Und spricht so zu sich leis:
Ich will es einmal wagen,
Das Eis, es muß doch tragen,
Wer weiß?
Friedrich Güll (1812 - 1879), Friedrich Wilhelm Güll, deutscher Dichter, der vor allem durch seine Kinderlieder bekannt wurde
Quelle: Güll, F. W., Gedichte. Aus: Vom Büblein auf dem Eis, 1827
So gehört denn auch zu unserem vögelsingenden, blütenschneienden Frühling, wo der Fluß zwischen duftenden Kräutern tanzt und ein Herz im anderen lebt, jener kalte, vom Wind und Schnee durchkreuzte Winter, wo die eisige Luft mir den Atem an den Haaren zu Reif ansetzte, wo ich so wenig wußte, was mich in den Wintersturm hinausjagte, als wo der Wind herkam und wo er hineilte.
Bettina von Arnim (1785 - 1859), deutsche Schriftstellerin, geborene Elisabeth Catharina Ludovica Magdalena Brentano, auch Bettine, Schwester des Philosophen Clemens Brentano
An die Bäume im Winter
Gute Bäume, die ihr die starr entblätterten Arme
Reckt zum Himmel und fleht wieder den Frühling herab!
Ach, ihr müßt noch harren, ihr armen Söhne der Erde,
Manche stürmische Nacht, manchen erstarrenden Tag!
Aber dann kommt wieder die Sonne mit dem grünenden Frühling
Euch; nur kehret auch mir Frühling und Sonne zurück?
Harr geduldig, Herz, und bringt in die Wurzel den Saft dir!
Unvermutet vielleicht treibt ihn das Schicksal empor.
Johann Gottfried von Herder (1744 - 1803), deutscher Kulturphilosoph, Theologe, Ästhetiker, Dichter und Übersetzer
Winternacht
Verschneit liegt rings die ganze Welt,
Ich hab nichts, was mich freuet,
Verlassen steht der Baum im Feld,
Hat längst sein Laub verstreuet.
Der Wind nur geht bei stiller Nacht
Und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seine Wipfel sacht
Und redet wie im Traume.
Er träumt von künft'ger Frühlingszeit,
Von Grün und Quellenrauschen,
Wo er im neuen Blütenkleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.
Joseph von Eichendorff (1788 - 1857), Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff, deutscher Dichter, Novellist und Dramatiker
Winternacht
1.
Vor Kälte ist die Luft erstarrt,
Es kracht der Schnee von meinen Tritten,
Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart;
Nur fort, nur immer fortgeschritten!
Wie feierlich die Gegend schweigt!
Der Mond bescheint die alten Fichten,
Die, sehnsuchtsvoll zum Tod geneigt,
Den Zweig zurück zur Erde richten.
Frost! friere mir ins Herz hinein,
Tief in das heißbewegte, wilde!
Daß einmal Ruh mag drinnen sein,
Wie hier im nächtlichen Gefilde!
Nikolaus Lenau (1802 - 1850), eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau, österreichischer Dichter und melancholischer Lyriker
Quelle: Lenau, N., Gedichte. Erstdruck 1832