28 Zitate und 2 Gedichte über Zuschauer.
Belauschte Frau
Doch ihr Gesicht,
Das sah ich nicht.
Nur Beine, Rock, gebeugten Rücken,
Ein nasses Stück vom Schürzenhang.
Das alles lebte sich beim Bücken
Und Wenden unterm Küchenlicht.
Ich aber stand im dunklen Gang,
Sah nach den unbewachten Beinen
Unter des hochgerutschten Rockes Saum.
Zwei sichre Arme dachte sich mein Traum.
Nur ihr Gesicht, das sah ich nicht.
Doch etwas war, als wäre es zum Weinen.
Kein Laut, kein Wort. –
Es ist auch nichts Zunennendes gewesen.
Ich aber weiß: Als ich den Gang verließ,
Schlich ich ganz innig leise fort
Und war betrübt, als ich doch einen Besen
Umstieß.
Joachim Ringelnatz (1883 - 1934), eigentlich Hans Bötticher, deutscher Lyriker, Erzähler und Maler
Quelle: Ringelnatz, J., Gedichte. Gedichte dreier Jahre, 1932
Arbeitet einer auch wie ein Ackergaul,
Dem Zuschauer ist er immer noch zu faul.
Quelle: Fliegende Blätter, humoristische deutsche Wochenschrift, 1845-1944
Überall gibt es Zuschauer. Das heißt Leute, die sich für etwas interessieren, wofür sie sich gar nicht interessieren.
Peter Altenberg (1859 - 1919), eigentlich Richard Engländer, österreichischer Schriftsteller
Man lebt heute immer mehr mit Zuschauern. Dem korrespondiert
die wachsende Zahl der Alltagsschauspieler.
© Sigbert Latzel (*1931), Dr. phil., Germanist, Philosoph, Schriftsteller und Aphoristiker
Quelle: Latzel, Gedankentreibsand. Aphorismen, 2008
Bystander: sich mit beiden Augen den Augen aller entziehen.
© Sarah Klose (*1990), deutsche Aphoristikerin
Verbrechen durch Wegsehn und Zuschaun sind straffrei.
© Manfred Hinrich (1926 - 2015), Dr. phil., deutscher Philosoph, Philologe, Lehrer, Journalist, Kinderliederautor, Aphoristiker und Schriftsteller
hüte dich
vor Zuschauern
früher oder später
fordern sie
einen Verlierer
© Art van Rheyn (1939 - 2005), eigentlich: Günter Schneiderath, niederrheinischer Dichter und Aphoristiker
Quelle: Art van Rheyn, Erlesene Bosheiten, 1998
Die nicht immer nur zusehen, sind eine schweigende Minderheit.
© Stefan Schütz (*1964), deutscher Notat-Verfasser
Ästhetik der Abstumpfung. – Katharsis der Zuschauer durch Mitleid? Oder Abstumpfung durch bequem sitzendes Zuschauen bei Mord und Quälerei? Nero beim Brand Roms. Das ästhetische Erlebnis stumpft ab und bereitet dadurch auf Schlimmeres vor. Woher kam die bekannte Wankelmütigkeit der Schauspieler, die Fühllosigkeit der akademischen Mit-Fühler und Mit-Läufer? Man hatte gelernt, privat mitzuleiden ohne einzugreifen, ohne "Halt" rufen zu dürfen.
© Rainer Kohlmayer (*1940), Professor für Interkulturelle Germanistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Herausgeber der Zeitschrift »Die Schnake«, Autor und Übersetzer von Theaterstücken
Quelle: Kohlmayer, Vorsicht! Bissiger Mund! Alphabetische Aphorismen, in: Die Schnake, Ausgaben 15+16, 2000
Ein Zuschauer ist immer König und Souverän,
ein Spieler immer Diener und Knecht.
© Carl Peter Fröhling (*1933), Dr. phil., deutscher Germanist, Philosoph und Aphoristiker